Ich bin ja weiss Gott kein fleissiger Schreiber und die Zahl meine WordCamp Recaps ist auch mehr als übersichtlich … aber in dem Fall muss es wirklich sein. Aber so was von.
Für alle die mit den Begrifflichkeiten in der Überschrift so gar nichts anfangen können:
WordCamps sind im weitesten Sinne Konferenzen rund um das Thema WordPress.
Anders als viele kommerzielle Veranstaltungen werden diese aber ausschliesslich ehrenamtlich von der Community und daher auch sehr kostengünstig organisiert. 2016 hatte ich das große Vergnügen ein solches WordCamp in Nürnberg federführend organisieren zu dürfen und aktuell habe ich ein weiteres WordCamp am 22. September 2018 in Würzburg als Barcamp angezettelt. Ich versuche so oft als möglich mindestens an WordCamps in Deutschland teilzunehmen oder auch ab und an über die Grenzen zu gehen und WordCamps im – bislang europäischen – Ausland zu besuchen. Die Teilnahme an den WordCamps ist ein nicht unerheblicher Teil meines Weiterbildungsetats. Aber auch die willkommene Möglichkeit sich mit dem Rest der WordPress Welt zu treffen, neue Leute kennen zu lernen, ein bisschen Spass zu haben und durchaus auch um des Reisen willens. So ein kleines bisschen Urlaub ist bei allem beruflichen Hintergrund schon auch immer dabei, wenn es die Chance gibt, neue Städte zu entdecken oder liebgewonnene wiederzusehen. Seit 2012 – meiner ersten, damals noch WP-Camp geheissenen, Veranstaltung – sind zwischenzeitlich 4 WordCamps in Berlin, 3 in Köln, je eines in Hamburg, Frankfurt, Nürnberg, Antwerpen und Paris in unterschiedlichen Rollen als Teilnehmer, Helfer, Speaker, Sponsor oder Organisator dazu gekommen. Jedes war auf seine Art anders, besonders und großartig. Ich bin jedes Mal mit neuem Wissen, frischer Motivation für meine tägliche WordPress-Arbeit, ein paar neuen und etlichen bekannten, vertieften Kontakten nach Hause gefahren.
Kurz gesagt: ich liebe WordCamps ❤.
Und was ist jetzt das Retreat?
Gestartet ist das Format mal als “WordCamp im Grünen” was die erste Besonderheit schon recht gut beschreibt: üblicherweise finden WordCamps in mehr oder minder größeren Städten statt. Schon alleine deshalb, weil sich vor Ort in den vorhandenen, lokalen Meetups die notwendige Zahl an Organisatoren finden lässt. Soltau mit etwas mehr als 20.000 Einwohnern fällt dafür definitiv aus dem Raster.
Das zweite Merkmal – und die beiden genannten hängen recht eng zusammen – ist die Tatsache, dass anders als sonst nicht nur eine Veranstaltungslocation durch die Orga bereitgestellt wird, sondern gleich die Übernachtungsmöglichkeit dazu. Der Zusammenhang ist relativ simpel: Konferenzräume für 200 bis 300 Leute zu finden ist keine Herausforderung innerhalb einer etwas größeren Stadt. Entsprechende anhängende Zimmerkapazitäten direkt am Veranstaltungsort – idealerweise auch noch in bezahlbar – schon eher. Vorteil Soltau! (Und wie das Orgateam aus diversen Besichtigungen vor Ort zu berichten weiss durchaus auch anderswo in deutschen Landen.) Ein Dritter – nicht zu unterschätzender – Aspekt ergibt sich daraus gleich mit. Die “Verführungen” der Stadt scheiden aus. Mal eben noch zum Sightseeing, die obligatorischen Selfies vor Wahrzeichen XYZ, den Restaurant-Tipp von nebenan verifizieren … das alles war mit der Locationauswahl gecancelt. Nachteil Soltau?
Ich bin durchaus bekannt – wenn nicht in Teilen berüchtigt – dafür, zur rechten Zeit aus dem Rahmenprogramm eines WordCamps auch mal auszuscheren. Wenn ich partout mal nichts passendes an Vorträgen finde. Ich mich über irgendetwas geärgert habe (man beachte: ich ärgere mich – wer kann damit aufhören?). Mir die Party zu laut ist. Oder ich einfach ob des reichlichen Programms einfach mal meine Ruhe haben mag. Ich bekomme mein Drumherum eigentlich immer ganz ordentlich selbst organisiert und weiss mir zu helfen, ohne dass ich Ansprüche an die Orga eines WordCamps richten müsste. Und oft genug finden sich auf den WordCamps andere, denen es ähnlich geht und die sich meinen Alternativplänen anschliessen. Derart sind so schon manch hübsche Runden, nette Abende und tolle Gespräche mit anderen Teilnehmern abseits der offiziellen Pfade entstanden, auch wenn das gelegentlich mal als Absonderung und Eigenbrötlerei verstanden werden konnte.
Und diesen Spalter sperren wir jetzt gruppendynamisch mit den Anderen für ein Wochenende ein
Die fehlenden Verführungen wurden einfach ins Programm des Wochenendes eingebaut und Aktivitäten genannt. Wenn nichts geboten ist, mach es einfach selbst. Der Call für Aktivitäten war daher ebenso Notwendigkeit, wie probates Mittel um die Leute auf anderen als rein fachlichen Ebenen zusammenzubringen.
Um mir dennoch eine “Fluchtmöglichkeit” zu erhalten war die von mir vorgeschlagene Aktivität “Kartfahren”. Bei eintretendem Lagerkoller, wäre es ein Leichtes gewesen ein, zwei Hände voll Leute auf ein paar Autos zu verteilen und 20 km weiter nach Bispingen zu fahren. Letztlich bin ich sehr froh, dass die Idee es nicht in die Auswahl geschafft hat.
- es gab keine Notwendigkeit zur Fluch und keinen Lagerkoller. Sowohl die Location als auch das Programm bot stets genügend Frei- und Rückzugsräume.
- hätte das möglicherweise aufgrund der anfallenden Kosten nicht allen Teilnehmern zur Verfügung stehen können – das zumindest war der offizielle und verständliche Grund für die Ablehnung.
- vermittelte mir das OrgaTeam sehr glaubhaft, dass es sich bei der Auswahl und eben auch bei der Nichtberücksichtigung von Einreichungen Gedanken gemacht hatte. Mehr als gute Argumente Pro und Contra und die Tatsache dass sie gut abgewogen werden, kann man nicht verlangen. Spätestens an dem Punkt hatte die Orga mein Herz gewonnen.
Der vordergründige Nachteil des Retreat Formats wurde zur größten Stärke.
Die Durchmischung des Programms mit Vorträgen, Workshops, Contributing, BarCamp Tracks, Freizeitaktivitäten verteilt auf ein komplettes Wochenende war einfach nur passend, genial, klasse, … es gehen einem die Worte aus.
Es hat mir Spaß gemacht für mich passende Vorträge im Programm zu finden, die ich mir live anschauen konnte. Es gibt sicher nochmal so viele, die ich mir gerne auf WordPress.tv anschauen werde. Und es blieb mehr als genug Zeit vor, nach, zwischen, statt der Vorträge für Gespräche. Ich hatte großen Spaß die Zeit zwischen dem Programm und der abendlichen Party mit anderen bei Freizeitaktivitäten wie Schwimmen, Kegeln, Kubb und Bundesliga-Konferenz zu teilen. Es war ein ebenso großes Vergnügen, gefühlt mal eben nebenbei, für WordPress.tv zu contributen. Michaela hat’s in der Presswerk Morningshow sehr gut auf den Punkt gebracht (sinngemäss): wie Klassenfahrt ins Schullandheim, nur ohne Abwasch!
Einen nicht unerheblichen Anteil an der Wohlfühlatmosphäre hatte natürlich der Hotel Park Soltau. Angefangen beim CheckIn, der aufgrund eines Missverständnis bei der Umbuchung ebenso gut schon in Ärger hätte umschlagen können. Weiter über den stets freundlichen Service – das war mehr als nur Berufsethos, das war wirkliche Gastfreundschaft. Die Location selbst war mit den Räumlichkeiten für die Veranstaltung ebenso perfekt wie die Zimmer die in separaten (und daher etwas abgeschirmten) Trakten lagen. Mindestens so gut nutzbar wie die Räume waren die großzügigen Flächen außerhalb, die zusammen mit dem einfach nur genialen Wetter (welches das #WCRetreat einfach nur verdient hatte!) einen sehr großen Anteil an der einsetzenden Entspannung und Entschleunigung hatte. Absolut bemerkenswert das WLAN, das schnell und stabil alleine von mir 4 Geräte zu verarbeiten hatte – das Fünfte hab ich leider während des kompletten Wochenendes nicht ans Laufen gebracht – das WLAN war mit dem Captive Portal zu einfach gestrickt für mein Setup das auf SSID/Passwort bestand.
Das Essen war … spannend. Fanden meine Hemden. Egal welches Catering bislang auf WordCamps wie gut, reichlich, abwechslungsreich und lecker war … es muss hinter dieser Küche anstehen. Reichliches Frühstücksbuffet von halb sieben bis neun Uhr. Mittag- und Abendbuffet mit Suppe, Salat, Vorspeisen, Hauptgerichten und Desserts. Fast alles im plural und immer etwas anderes. Dazu am Samstag Abend der Grill und die Tischgetränke Wasser und Saft ebenso inklusive wie die reichlichen Snacks und Kaffee zwischendurch.
Lediglich das Abendessen am Donnerstag der Anreise sowie die Getränke an der Hotelbar oder das Bier zum Essen gingen extra. Nachdem ich nicht alles auf’s Zimmer habe schreiben lassen, würde ich mal insgesamt mit 40 – 45 € an Extras rechnen, davon 14,50 € für das donnerstägliche Abendbuffet. Oder anders gesagt: Fünf warme Buffets mal 14,50 € + 3x Frühstück, Getränke und Snacks machen alleine schon locker 100 € in meiner Hotelrechnung aus. Die Übernachtungen, wurden mit nicht mal 65 €/Nacht all-inkl. berechnet. Das WordCamp Ticket lag auf den ersten Blick mit 55 € am oberen Ende der üblichen Skala. Aber auch hier: verteilt auf 2,5 Tage kein wirklicher Ausreisser. Rechne ich den Donnerstag Abend dazu, sind’s 3 volle Tage und das Ticket auch eher (zu) billig. Insgesamt war das WordCamp Retreat damit nicht teurer, als ein vergleichbares “normales” WordCamp, wenn ich denn auf eine Hotelübernachtung angewiesen bin. Klar: JuHe-Fans, Hostelbewohner und Couchsurfer kalkulieren da anders, aber ab AirBnB ist das IMHO auf Augenhöhe. Der Großteil der Kosten liegt klar in der Venue, da würde es in der Tat nicht schaden, Teile der Kosten nicht wie sonst üblich nur via Ticket und Sponsorenbeiträge aufzubringen, sondern diese durchaus in den Zimmer- oder Verpflegungskosten aufzufangen. Ein Partyabend mit Verköstigung ist in anderen WordCamps nicht unüblich, aber die übrige Zeit muss ich mein Abendessen auch zahlen. So gesehen fiel es mir leicht, das zweite Ticket, das ich ursprünglich noch für meine Begleitung gebucht hatte und die dann arbeitsbedingt absagen musste, verfallen zu lassen. Mein persönliches Sponsoring sozusagen. Mit dem Hintergrundwissen von heute, werde ich beim nächsten Retreat sicher nochmal genauer auf das Community Sponsoring schauen. Auch da: erstmal schaut das vordergründig nach sehr viel mehr aus als sonst üblich, braucht aber den Kontext der damit verbundene Leistung. Den Teil hab ich leider vorher nicht hinbekommen.
Es ist üblich WordCamps nach ihrem Ende über den Schellenkönig zu loben. Das Orgateam hat schon im Vorfeld einen nicht unerheblichen Teil an Arbeitszeit investiert. Die Volunteers sind während der Veranstaltung freundlich und präsent. Die Sponsoren haben ordentlich Geld in den Pott geworfen um den Spaß zu finanzieren. Die Speaker haben sich ordentlich auf ihren Part vorbereitet und teilen ihr Wissen. Das alles gehört wertgeschätzt und wird es auch. Immer. Reichlich. Mit den wärmsten Worten. Und zu Recht.
Dann kommt das WordCamp Retreat daher und du merkst, dass du deine Superlative verschleudert hast.
Natürlich gilt auch nach Soltau mein Dank und mein Respekt allen oben genannten. Den Speakern, den Acitivity-Agents, den Volunteers, den Sponsoren und dem OrgaTeam. Aber man wird einfach das Gefühl nicht los, das es in dem Fall noch zu wenig ist. Und in der Tat das Gefühl trügt nicht:
Man kann alle, die dieses neue Format entwickelt, be- und gefördert haben, gar nicht genug loben. Die kolportierten 1,5 Jahre Vorlauf werden verschwindend klein, wenn man (vielleicht erst zuverlässig in ein paar Jahren) das gigantische Ergebnis betrachtet. Soltau darf nicht als singuläre Veranstaltung betrachtet werden. Es war vielmehr “nur” der Inkubator für eine sehr, sehr große Idee. Es ist in meinem Augen nicht weniger als die Championsleague der WordCamps, die in Soltau geboren wurde. Eine Blaupause für sehr viele, weitere Retreats die hoffentlich schon bald weltweit folgen werden. Eine Bitte, liebe deutsche Community: dieses Format lebt mehr als anderen davon, die lokale Community zusammen zu bringen. Ein bisschen Input und Anreicherung von aussen gerne. Aber bitte vermeidet es, das nächste Retreat, dass ggf. wo anders als in Deutschland stattfinden wird, in euer Euphorie zu überlaufen und zu kapern. Die #GermanBubble könnte Anderen die Luft zum Atmen nehmen. Es wäre der Tod der betreffenden Veranstaltung im Speziellen und vielleicht des Formats als Ganzes.
Dieser sehr spezielle, experimentelle Charakter – die Laborsituation von Soltau – rechtfertigt es auch, dass die Kalkulation am Ende nicht so aufging, wie sie üblicherweise bei einem WordCamp aufgeht. Aber die Welt ist nun mal dann am Gerechtesten, wenn Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird. Die WordPress Foundation, resp. die PBC gehört daher eben so für den Mut gelobt, die nötigen Mittel in diesen Versuchsaufbau zu stecken. Sowohl aus der Menge, als auch der Güte der einschlägigen Nachbetrachtungen, sollte es nachfolgenden Retreats gelingen, sowohl die notwendige kritische Masse an Teilnehmern zusammen zu bringen, als auch noch mehr Sponsoren für dieses Format zu gewinnen um künftige Finanzierungen stabiler werden zu lassen.
Ich freue mich auf jeden Fall schon auf das nächste WordCamp Retreat. Wann und wo auch immer.