Man kommt an dem Thema dieser Tage nicht vorbei. Und auch nicht erst seit heute. Erst die Welle, die Caspar Hübinger mit »Deutschstunder« und »Stringintelligenz« ausgelöst hat. Nun die Debatte (mit sehr guten Stellungnahmen dazu bei 2nd-kauboy und bei luminuu) ob ein Meetup ausschliesslich für Frauen noch durch die Code-of-Conduct-Tür passt.
Man wird den Eindruck nicht los, dass es Leute gibt, die solche guten Ansätze zur Geschlechtergerechtigkeit einfach missverstehen wollen. Gerechtigkeit ist nebenbei bemerkt etwas anderes als Gleichheit. Gerechtigkeit beinhaltet sowohl den Aspekt das Gleiches auch gleich zu behandeln ist, wie umgekehrt Ungleiches auch ungleich behandelt werden darf (oder sogar muss).
Wenn es – egal ob tatsächlich oder gefühlt und erst recht experimentell* – einen Bedarf gibt, Frauen in der IT (oder hier konkret im WP-Universum) einen geschützten Raum zu bieten, dann bitte sehr her damit! Wenn es – und an der Stelle sind wir jenseits von »gefühlt« – den Bedarf für eine geschlechterneutrale Sprache gibt, dann brauchen wir solche Vorschläge wie die von Caspar.
Ich hatte das Vergnügen am Wochenende auf der FOSDEM in Brüssel zu sein. Diese eher linux-lastige Konferenz und Messe hat meinen Begriff von Community nochmal deutlich über das hinaus erweitert, was ich von unserer (heilen) WordPress Welt gewohnt bin. Und ich bin mir sicher, dass alleine durch die Tatsache, das diese Welt noch sehr viel bunter als die unsere ist, auch ein Code of Conduct noch sehr viel notwendiger ist.
Ja, es braucht auch für WordPress Veranstaltungen – Meetups und WordCamps – ein paar Verhaltensregeln. Aber ich werde den Verdacht nicht los, dass der weit überwiegende Teil unserer Community derlei Regeln und Maßstäbe im Rahmen der Sozialisation bereits genossen und verinnerlicht hat.
Vielleicht ist auch der Nerd-Faktor von WordPress zu gering. Vielleicht sind wir Geek genug um miteinander klar zu kommen. Unterschied nicht klar? Dann dies zur Erklärung:
»Social Ineptitude«, also eine »Gesellschaftsunverträglichkeit« würde ich niemandem von denen, die ich kennenlernen durfte, attestieren. Die Diskussionen wie »Hilfe, die gendern mein WordPress« oder »Frauen in der IT sind auch nur Menschen, ergo komplett gleich zu behandeln« kommen mir wie ein Sturm im Wasserglas vor, der von Leuten befeuert wird, die sich den fehlenden Nerdfaktor auf diese Weise verschaffen wollen. Was allerdings zum Scheitern verurteilt ist, weil damit der Faktor »Intelligence« verspielt wird. Übrig bliebe der Dork!
Meine Bitte daher: lasst doch einfach mal machen. Lasst Caspar die Idee der Stringintelligenz. Lasst Maja ihr Meetup durchführen. Und wer sich dafür begeistern kann, darf gerne mithelfen. Wer mit einer Sache partout nix anfangen kann, soll doch bitte wenigstens denen, die dafür brennen, den Spaß daran lassen. Wem’s zur Toleranz nicht reicht, der sollte sich wenigstens mit Gleichgültigkeit begnügen. Der Rest darf mitmachen.
Interessant fand ich übrigens, das ausgerechnet auf den offiziellen Kanälen der WP-Foundation die Debatte sehr kritisch geführt wird. Und auch das nicht zum ersten Mal. Bei der Frage bgzl. des WordCamps im Grünen wurde ähnlich kritisch diskutiert ob ein Kloster als Veranstaltungsort noch »including« wäre oder ob damit die Gefühle derer verletzt werden könnten, die mit Religion nichts anfangen könnten. Ich finde das insbesondere deshalb bemerkenswert, weil in den USA ansonsten für die freie Meinungsäußerung, die Freiheit der Religion und die Versammlungsfreiheit recht schnell der erste Zusatzartikel der Verfassung bemüht wird. Auch für Äußerungen, die unsere Toleranzschwelle und sogar unsere gesetzlich erlaubten Dinge weit übersteigen. Ein vorauseilender Gehorsam und die Schere im Kopf will da so gar nicht in mein Weltbild passen.
*ich bin mir bewusst, das auch diese Einfügung böswilligerweise schon wieder sexistisch interpretiert werden könnte – bitte nicht!