Zugegeben: nicht vollständig bargeldlos, aber es geht doch schon sehr weit. Im zivilisierten Europa immer wieder mal über die Abschaffung von Bargeld diskutiert. Im „Entwicklungsland“ oder manchmal auch großzügig westlich „Schwellenland“ Kenia ist man da sehr viel weiter. M-PESA macht’s möglich in Nairobi bargeldlos zu zahlen.
Wir sprechen hier nicht über Cashkarten, die deutsche Banken wie Sauerbier anpreisen. Auch nicht über die gängigen Visa oder MasterCard Kreditkarten. Wobei das hier zumeist Debit-, also auf Guthabenbasis geführte, Karten sind. Auch wenn der gute Name in Hotels, größeren Supermärkten oder an Tankstellen akzeptiert ist: Das eigentliche technische Wunder Kenias heisst „M-PESA“ und kommt vom Nummer 1 Mobilfunk Provider Safaricom. Da Safaricom nur einer von vielen Mobilfunkprovidern ist, gibt es natürlich entsprechende Ableger bei anderen TelCos. Und auch einige Banken, denen natürlich etliches an Geschäft an der Nase vorbei geht, unterhalten entsprechende Dienste. Wir beschränken uns mal auf den Quasistandard. Und das ist M-PESA.
Was ist M-PESA?
Das „M“ steht für „mobile“ und „PESA“ ist schlicht das Swahili-Wort für „Geld“. Dieses „mobile Geld“ wird in der Tat auf dem Handy aufbewahrt. Unterstützt ist dabei jedes Gerät, das USSD unterstützt. Vereinfacht gesagt sind das Kurzwahlen, eingeleitet von der „*“-Taste, abgeschlossen mit der „#“-Taste. Unsereiner mag damit mal in Kontakt gekommen sein, als es darum ging die Mobilfunk-Mailbox mit allen möglichen Settings auszustatten. In Kenia ist das sehr viel mehr. Hinter solchen USSD-Codes verbergen sich z.T. sehr komplexe Anwendungen. Sei es für Farmer, die darüber die aktuelle Wettervorhersage oder Aussaatempfehlungen bekommen oder eben auch: M-PESA.
Der Vorteil des Systems liegt auf der Hand: Nicht jeder verfügt über ein Smartphone. Ein einfaches sog. Featurephone ist preislich immer noch günstiger als ein Androidgerät (von iPhones ganz zu schweigen), deutlich robuster und kommt mit einer Akkuladung sehr viel weiter. Ein sehr schwerwiegender Vorteil gerade in ländlicher Umgebung. Strom kommt nicht immer aus dem Netz. Z.T. sind ganze Dörfer (dezentral – jedes Haus für sich) solarbetrieben. Oder die Netzversorgung bricht mal wieder zusammen. Die Abkürzung des heimischen Stromanbieters KPLC – Kenya Power & Lighting Co. – wird oft genug auch spöttisch mit „Kenyans please light candles“ übersetzt.
Zurück zum Geld.
Oder eben eher wie man mit M-PESA in Nairobi bargeldlos zahlen kann. Zunächst: wie kommt Geld auf’s Handy. In den allermeisten Fällen über sog. M-PESA Agents. Die gibt es an so ziemlich jeder Straßenecke. M-PESA Agent zu sein, bietet ein nettes, kleines Zubrot für Kioskbetreiber, Shopinhaber, …. Diese Agents sind alle mit einer eindeutigen 5- oder 6-stelligen Nummer ausgestattet. Mit Bargeld – geht doch nicht ganz ohne am Anfang – und der ID (Personalausweis oder Reisepass) wird das Geld beim Agent eingezahlt, der dieses dann umgehend auf die Mobilfunknummer des Einzahlers sendet. Natürlich unter Einbehaltung von ein paar Shilling Transaktionskosten, die sich Safaricom und der Agent aufteilen. Kleinvieh macht eben auch Mist.
So wie man Geld einzahlen kann, so ist der Agent auch „Bankomat“. Wer vor Ort Geld an die Nummer des Agents gesendet, bekommt man das Geld (wieder unter Abzug von ein paar Gebühren) cash ausgezahlt. Ein bisschen Kleingeld hier und da ist nach wie vor hilfreich. Apropos Bankomat: auch an allen ATM kann man Geld von M-PESA abheben. Entgegen der oben verlinkten Liste mit den Rates nach meiner Erfahrung i.d.R. kostenlos. Möglicherweise zahlt der Betreiber des ATMs, also die Bank diese Gebühr. Soll mir recht sein!
Und wo kann ich das Geld ausgeben?
Wirklich überall! Nicht nur die Agents nehmen die eingehenden Transaktionen gerne entgegen. Der einfachste Fall von Geldtransfer ist von Telefonnummer zu Telefonnummer. Mit ein paar Gebühren versteht sich. Safaricom hat es sehr gut verstanden das System zur Cash-Cow zu entwickeln. Nur die kleinen Transaktionen sind gebührenfrei, was aber in einer Volkswirtschaft, die zu einem großen Teil aus Micro-Businesses besteht ein erheblicher Faktor ist um solches Kleingewerbe am Laufen zu halten.
Sehr viel komfortabler wird es in Geschäften, die regelmässig solche Transaktionen erwarten und daher den Kunden eine sog. Till-No. anbieten. Manchmal umfasst eine solche Nummer ein komplettes Geschäft, manchmal eine Filiale, manchmal nur eine einzelne Registrierkasse im Supermarkt. Egal wie: auf dieser Nummer kommt das Geld an. Mehr noch als mit Kreditkarten werden darüber Tankrechnungen, die Zeche im Café oder Restaurant, der Einkauf im Supermarkt, eigentlich alles bezahlt. Vorteil der Till-No.: die Transaktionen sind zumeist für den Kunden kostenfrei. Die Gebühren übernimmt der Verkäufer. Damit wird dann auch „Lipa na M-PESA“ – zahle mit mobilem Geld – die Bezahlung der Tasse Kaffee interessant.
Damit ihr mal ’ne Idee bekommt wie das aussieht:
Toller Überblick, vielen Dank! Ich finde die „Einfachheit“, im Sinne von Ausnutzung sowieso vorhandener Technik (der Telefonnummer), und die damit einhergehende Inklusivität des Systems enorm faszinierend und bestechend. Scheint mir, im Gegensatz zu privilegierten Anwendungen wie Apple Wallet und Google Pay, eine echte Anwendung „for the people“ zu sein, und das ist mir erst einmal sehr sympatisch. Die Vorteile einer bargeldlosen Gesellschaft halte ich dagegen allgemein mindestens für streitbar, aber das ist eine andere Diskussion. 🙂